Am vergangenen Samstag wurde mit der „Raus aus der Defensive“ Demonstration ein entschlossenes Zeichen gesetzt, um der Wut auf die bestehende Gesellschaftsordnung Ausdruck zu verleihen und die anstehende Räumungswelle kraftvoll einzuleiten. Es wurde sich dazu entschlossen, in die Offensive zu gehen und es nicht einfach hinzunehmen, dass Bullen am kommenden Freitag, dem 07.08.2020 im Interesse des Kapitals versuchen werden, uns aus unserer Kiezkneipe zu prügeln, damit eine Immobilienfirma das Objekt möglichst profitabel an einen neuen Eigentümer übergeben kann.
Die Reaktionen kennen wir schon lange: Ihr betitelt uns als linke Chaoten, denen der eigentliche Grund dieser Demonstration völlig egal wäre. Uns gehe es um nichts anderes als darum, unserem willkürlichen Hass Ausdruck zu verschaffen und diesen gegen die Polizei, den Hüter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu richten. Die Gewalt zeige erneut, dass die Gefahr von links für ein demokratisches Zusammenleben kein bisschen weniger gefährlich sei als die von rechts. Solchen Müll von sich zu geben, zeugt jedoch nicht von einer demokratischen Grundgesinnung, sondern von einer völligen Unkenntnis der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und einem falschen Begriff von Gewalt.
Denn die bestehende Gesellschaftsordnung selbst beruht auf dem Prinzip der Gewalt. Die heile Welt, die ihr propagiert, bedeutet für einen Großteil der Gesellschaft ein Leben in unerträglichen Zuständen. Seien es Geflüchtete, die in der täglichen Angst leben, in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden, die sie unter der Gefahr des eigenen Todes verlassen haben. Seien es Rentner*innen, die die letzten Jahre ihres Lebens damit verbringen müssen, Pfandflaschen aus Mülleimern zu sammeln, um sich selbst noch versorgen zu können. Oder seien es die Obdachlosen in Berlin, die täglich betteln und um ihren Schlafplatz bangen müssen, während überall Wohnungen in dieser Stadt zu Spekulationszwecken leer stehen. Der bestehende Friede hat die Tausenden von Toten im Mittelmeer zur Folge. Die bestehende Ordnung verwandelt unser Leben tagtäglich in eine sinnlose Abfolge von Arbeit und Konsum, die sich in der Idiotie der überall entstehenden Start-Ups vollendet. Wenn sich Menschen gegen ihr Schicksal wehren, um ihre Abschiebung zu verhindern oder ihre Obdachlosigkeit durch die Besetzung von leerstehenden Häusern zu überwinden, wird die Polizei die waltende Ordnung mit ihren Knüppeln durchsetzen. Mittels Zwangsräumungen und der Zerschlagung von Protesten im Interesse des Kapitals wird Berlin wie so viele andere Städte immer weiter in einen lebensfeindlichen Raum verwandelt.
In diesem Sommer steht nun eine massive Räumungswelle linker Projekte unter einem rot-rot-grünen Senat bevor. Es werden uns weitere Räume genommen, an denen die zwischenmenschliche Kälte der kapitalistischen Gesellschaft noch nicht vollends Einzug erhalten hat. Orte, an denen wir noch ein Bier trinken dürfen, wenn wir das Geld dafür nicht haben. Orte, an denen wir uns abseits des konkurrenzdurchdrungenen Schulbetriebs bilden können. Orte, an denen wir uns nicht in eine Geschlechterordnung gepresst fühlen, in die wir nicht passen wollen. Orte, an denen wir uns als Menschen begegnen, diskutieren, trinken und uns gegen eine Gesellschaft organisieren können, die uns in Klassen spaltet, Menschen unterdrückt und sich immer weiter faschisiert. Linke Parteien, die sich in den Phasen des Wahlkampfs so gerne als das Sprachrohr der einfachen Arbeiter*innen und Mieter*innen darstellen, wirken fleißig an der Umgestaltung unserer Stadt nach den Interessen des Kapitals mit. Sie versprechen in jedem Wahlkampf das Blaue vom Himmel, um nach ihrer Wahl Menschen mittels Polizeigewalt aus ihren Kiezläden, Wohnprojekten und Mietwohnungen zu prügeln. Die Profite des Kapitals und der Knüppel der Polizei gehen seit jeher Hand in Hand, die Gewinne der Besitzenden sind durch die Gewalt gegen die Besitzlosen erkauft. Zu denken, die nächste Sitzblockade oder die nächste linke Regierung könnten diese strukturelle Gewalt abschaffen, ist nicht Ausdruck einer demokratischen Grundgesinnung, sondern eines Mangels an kritischem Bewusstsein. Trotz so vieler „linker“ Regierungsperioden wächst die Schere zwischen arm und reich immer weiter, werden die Mieten immer teurer, das Grenzregime immer rigider und das Leben in dieser Stadt täglich beschissener. Das Ende der Gewalt, bestünde darin, das menschliche Leiden, dass diese Gesellschaft tagtäglich produziert, zu beenden. Das Ende der Gewalt hieße ein solidarisches, selbstorganisiertes Zusammenleben durch die Menschen einer Stadt an die Stelle der brutalen Koexistenz von Armut und Reichtum zu setzen, die heute das Stadtbild von Dahlem bis nach Marzahn prägt.
Wenn ihr euch also einmal wieder ernsthaft mit der Frage der Gewalt auseinandersetzen möchtet, dann sprecht über die Toten im Mittelmeer, die Menschen ohne Obdach und die Renter*innen ohne Geld. All die Menschen, denen die Würde genommen wird, während andere in ihren Villen im Grunewald und auf ihren Yachten im Hafen von Monaco die Champagnerkorken knallen lassen. Sprecht über den immer wiederholenden Verrat linker Parteien an den Menschen, die sich gegen diesen unerträglichen Zustand der Welt zur Wehr setzen. Sprecht über die andauernde Zerstörung von Orten des sozialen Miteinanders und der Lebenswelt von Menschen, die in der Stadt der Reichen keinen Platz finden. Und hört auf unseren Kampf gegen diese unerträglichen Zustände als die eigentliche Gewalt zu bezeichnen. Über dessen Legitimität wusste bereits Bertolt Brecht in einem Lied zu singen:
„In Erwägung unserer Schwäche machtet
ihr Gesetze, die uns knechten soll’n
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet,
in Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein woll’n.“
Vergangenen Samstag war erst der Anfang! Die nächsten Termine:
Mi 05.08. , 19 Uhr, Köpi , Interkiezionale VV
Do 06.08. , ab 20 Uhr, Lange Nacht der Weisestraße
Fr 07.08. , 9 Uhr , Räumung des Syndikat verhindern
Fr 07.08. , 17 Uhr, Herrfurthplatz – Kiezdemo gegen Räumungen – Syndikat bleibt
Fr 07.08. , 21 Uhr, wütende Tag X – Sponti (
Die Stadt der Reichen angreifen – die Projekte verteidigen!