Was war los am 20. Mai in der Reichenberger Str. 114?

Am 20. Mai gab es berlinweit neun Besetzungen. Gegen 14 Uhr haben wir in der Reichenberger Straße 114 das Soziale Zentrum Friedel im Exil eröffnet. Bereits zwei Monate zuvor haben wir begonnen, die Ladenfläche dort zu nutzen und zu gestalten.
Die Ladeneinheit wurde vom Eigentümer – der Akelius GmbH – jahrelang leer stehen gelassen. Die weltweit operierende Akelius GmbH ist eine der größten Berliner Hauseigentümer und trägt mit extrem überhöhten Angebotsmieten und hohem Leerstand maßgeblich zum Berliner Mietenwahnsinn bei. Wahnsinnig ist, dass in Berlin zehntausende Wohnungen leerstehen, während es gleichzeitig in Berlin täglich ca. 20 Zwangsräumungen gibt, Geflüchtete unter menschenunwürdigen Zuständen in Lagern untergebracht werden, und über 6000 Menschen obdachlos sind. Wahnsinnig ist, dass Eigentum wichtiger ist, als menschliches Leben in Würde.
Deswegen wollten wir gemeinsam mit Nachbar*innen, Freund*innen und allen Interessierten dem Raum in der Reichenberger Str. 114 wieder Leben einhauchen. Wir wollten auf Dauer einen selbstorganisierten Ort schaffen, wo ein Zusammenkommen auf Augenhöhe möglich ist. In Berlin und vielerorts fehlt es an Orten, die organisch zusammen wachsen, die möglichst barrierearm, diskriminierungsfrei, emanzipatorisch und selbstorganisiert sind – ohne staatliche Einmischung. Denn wir als Mieter*innen haben kaum die Möglichkeit, unseren Kiez selbst zu gestalten. Wir wollen keine anonymen Kieze, die nur zum Arbeiten und Schlafen gedacht sind, sondern einen Wohn- und Lebensraum, in dem nachbarschaftliches Zusammenkommen möglich ist und in denen wir selbstbestimmt unsere Leben gestalten können. Darum besetzen wir Wohn-und Lebensraum, der uns aufgrund der Marktlogik und dem Konzept ‘Miete’ vorenthalten werden soll und öffnen diesen für alle. 
Kurz nach Veröffentlichung der Besetzung in der Reichenberger Str. 114 kamen interessierte und solidarische Menschen zusammen, um die neuen Räumlichkeiten mit Leben zu füllen: ein Umsonstladen, ein Infotisch, ein leckerer Brunch und entspannte Musik trugen zu einer freundlichen und gemütlichen Stimmung bei. Sowohl Nachbar*innen als auch Passant*innen, die durch Flyer auf das neue Soziale Zentrum aufmerksam wurden, zeigten sich solidarisch. Den Tag über bis in die Abendstunden waren durchgängig zwischen 100 und 200 Leute da. Eine Stunde nach Eröffnung kamen mehrere Bullenwagen an, weshalb wir leider niemanden mehr in den Laden lassen konnten. Die Nutzung des Ladens wurde durch die Polizeipräsenz kriminalisiert: wer sich in den Laden bewegte, musste das Risiko auf Strafanzeigen eingehen. Daraufhin wurde vor dem Laden eine Kundgebung angemeldet. Es folgten ein paar nette Stunden mit Redebeiträgen und Musik. Die Besucher*innen malten Transparente und erstellten gemeinsam ein Programm für die kommenden Tage: u.a. Workshops, Konzerte, Lesungen, Diskussionen und Filmvorführungen sollten im Laden stattfinden
Jedoch wurde die friedliche und entspannte Stimmung immer wieder von den Bullen gestört: Eine Person, die die Toilette im Laden benutzte, bekam eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Leute, die zur Kundgebung wollten, wurden aufgehalten. Ein Transparent gegen Polizeigewalt, das zwischen zwei Bäumen hing, musste entfernt werden. Daraufhin hängten Bewohner*innen der Reichenberger Str. 114  das Transparent aus ihrem Fenster. Ein weiteres Transparent an der Hofeinfahrt veranlasste, dass die Bullen konfrontativ die Kundgebung angriffen. Gegen 20:30 Uhr teilte die Polizei mit, dass ihnen nun Strafantrag und Räumungsbefehl des Eigentümers vorliege und sie nun räumen würden. Erst versicherten sie, es auf jeden Fall anzukündigen, bevor sie sich Zugang zum Objekt verschafften. Doch keine fünf Minuten später setzten sie das Recht auf Eigentum brutal durch. Die Bullen eskalierten und verschafften sich ohne jede Ankündigung und durch wahllose Prügel auf Kundgebungsteilnehmer*innen Zugang zur Tür des Ladens. Sowohl Schlagstöcke als auch große Mengen Pfefferspray wurden eingesetzt. Einige Bullen gingen mit Fäusten auf die Menschen los, die zufällig in diesem Augenblick vor der Tür standen. Es gab einige Platzwunden, gebrochene Nasen und einer Person wurden sogar Zähne ausgeschlagen. Die Menschen drinnen konnten den Laden verlassen, bevor die Bullen die Tür eingeschlagen hatten.
Das zeigt, Akelius und auch die Bullen wollten nicht verhandeln, sie wollten nur Gewalt. Kriminalisiert werden in diesem Land nicht die, die Räume sinnlos leerstehen lassen, sondern die, die sie couragiert für die Allgemeinheit öffnen.
Um diesem schnellen und unerwarteten Ende wenigstens etwas entgegenzusetzen, zogen wir unmittelbar danach von der Reichenberger Str. 114 zum Reuterplatz, um gegen Polizeigewalt und für die Besetzung von Leerstand zu protestieren.
So endete zwar der Eröffnungstag des Sozialen Zentrums in der Reichenberger Str. 114, aber der Karneval der Besetzung dauerte noch an, denn in der Bornsdorferstraße. 37b in Neukölln waren die Bullen noch am Räumen. Mitten in den laufenden Verhandlungen hatten sie die Besetzer*innen überrascht und ohne Warnung brutalst angegriffen. Eine Person wurde bewusstlos geprügelt, andere die Treppe hinuntergeschubstAuch daran zeigte sich, dass für Polizei und Politik nichts zu schade ist, um die Berliner Linie durchzusetzen; egal ob sie dabei offizielle Verhandlungen platzen lassen und Menschenleben in Gefahr bringen. Die Räumung der Bornsdorferstraße 37b dauerte noch bis spät in die Nacht und endete mit 56 Strafanzeigen. Viele Menschen blieben bis zum Ende vor Ort, um ihre Unterstützung zu zeigen.
Mit dieser ersten großartigen Aktion zeigt die Besetzen-Kampagne, dass eine breite Masse Wohn- und Lebensräume braucht und den spekulativen Leerstand, die hohen Mieten und Zwangräumungen, nicht mehr so hinnehmen will. Die neun parallel stattfindenden Besetzungen zeigen die Entschlossenheit, sich die Stadt wieder zurückerobern zu wollen und sie als einen Raum für alle gemeinsam zu gestalten. Die positive Resonanz von Medien, Passant*innen, Nachbar*innen und anderen Gruppen zeigt, dass Besetzungen ein richtiges und legitimes Mittel für eine Stadt von unten sind.
Das war nur der Anfang des Frühlings der Besetzungen.
Tausend Dank an alle, die da waren und das soziale Zentrum Friedel im Exil, so wie die anderen Besetzungen, unterstützt haben! Ihr habt die schönen Stunden dieses Tages zu dem gemacht, was sie waren! Wir werden uns von Polizeigewalt nicht abhalten lassen, unsere Ziele zu verwirklichen.
Solidarische Grüße an die Besetzer*innen aus Stuttgart Heslach, die leider geräumt wurden.
Viel Erfolg und Energie an die Projekte HaSi aus Halle und dem Black Triangle in Leipzig, die akut von Räumung bedroht sind!
Und natürlich solidarische Grüße an alle organisierten aklius-Mieter*innen!
Zusammen bauen wir die Städte von Unten!