Pressemitteilung und Einladung zur Urteilsverkündung am 19.02.2020 bzgl. des Transparentes an der Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln.

Stehen Kapitalinteressen über dem Recht auf freie Meinungsäußerung? + Vermieter findet Grundgesetz zu radikal

Ein Mieter der Friedelstraße 54 wurde von der Hausverwaltung abgemahnt, weil er ein Transparent mit der Aufschrift “Friedel54 / M99 / Rigaer / Köpi / Potse / KoZe – Wir bleiben Alle! – Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten” an seinem Balkon zu hängen hat. Seit Jahren läuft ein Rechtsstreit deswegen. Sowohl Amts- als auch Landgericht gaben dem Mieter in den ersten Verfahren Recht. Doch der Bundesgerichtshof ließ die Revision der Luxemburger Briefkastenfirma „Pinehill Sarl“ zu. Am Mittwoch, 19.02.2020 um 9 Uhr, wird nun das Urteil im Landgericht in der Littenstraße in Berlin-Mitte gesprochen.
Während der Revisionsverhandlung vor dem Landgericht am 20.11.19 argumentierte der Anwalt der Luxemburger Briefkastenfirma, das Transparent würde den Wert der Immobilie um ca. 20% senken, weshalb das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung außer Kraft gesetzt werden solle. Allerdings will der Eigentümer das Haus derzeit gar nicht verkaufen. Außerdem wurden gerade in den letzten 3 Jahren, in denen das Transparent hängt, Mietverträge mit deutlich höheren Mieten abgeschlossen, als in der Vergangenheit.
Weiterhin argumentieren die Eigentümer, sie wollen nicht länger als „Verdränger“ dastehen. Der Text des Transparents würde den Eindruck erwecken, “der Grundstückseigentümer missachte Mieterinteressen“.
Matthias Sander, Pressesprecher des zwangsgeräumten Kiezladens „Friedel 54“ kommentiert: “Wir als ehemalige Mieter*innen des Hauses wissen, dass dieser Eigentümer Mieter*interessen missachtet. Für ihn zählt nur der Profit.” Ferner stellt er fest: “Wenn ein Vermieter seinem Mieter verbietet ein Transparent mit der Aufschrift “Wir bleiben alle!” aufzuhängen, erweckt das bei uns den Eindruck, er wolle nicht, dass alle Mieter*innen bleiben.”
Am Ende der Revisionsverhandlung stand zunächst der Versuch einer außergerichtlichen Vergleichsverhandlung. In dieser schlug der Mieter den Eigentümern 3 neue Textvorschläge für ein kleineres Transparent vor. Wie nicht anders zu erwarten, hat die anwaltliche Vertretung der Briefkastenfirma Pinehill alle unterbreiteten Vorschläge abgelehnt. Darunter auch den Vorschlag Artikel 15 des Grundgesetzes auf das Transparent zu schreiben.
Dazu Matthias Sander: “Ein Unternehmen, dass Recht und Gesetz einsetzt, wenn es nützt, aber Grundgesetzartikel als zu radikale Meinungsäußerung einstuft; das ist symptomatisch für den zutiefst autoritären Charakter, der aktuellen neoliberalen Stadtentwicklung. Nicht verwunderlich, dass unter fadenscheinigen Gründen, die Meinung der eigenen Mieter*innen mundtot gemacht werden soll. Echte Demokratie muss auch im Wirtschaftsleben wirksam sein. Daher plädieren für die einzig vernünftige Lösung: Briefkastenfirmen zu enteignen und deren Häuser zu vergesellschaften. Unter anderem dafür werden wir am 28.03.2020 am europaweiten Housing Action Day auf die Straßen gehen.”
Darstellungen des Konflikts und zu den letzten Verhandlungstagen wurden bereits hier veröffentlicht:
friedel54.noblogs.org/post/2019/11/15/w…
www.neues-deutschland.de/artikel/112892…
taz.de/Prozess-wegen-Mietertransparent/…