Friedelstraße 54 – Wo stehen wir jetzt?

Den Rücken von einer überwältigenden Solidarität gestärkt und durch das Zutun Aller, die einen 2-Jahre andauernden Protest mitbegleitet haben, stehen seit dem 28.4.2016 die Eigentümer und die ‘Hausgemeinschaft F54’ zusammen mit dem Mietshäusersyndikat in Verhandlungen. Diese wurden einmalig moderiert von der Bezirksbürgermeisterin Neuköllns Franziska Giffey. Dem Angebot der Hausgemeinschaft von 1,2 Mio. €, welche eine sozialverträgliche Durchschnittsmiete für die MieterInnen bedeuten würde, wurden 1,85 Mio. € von den Besitzern entgegengestellt. Dieser Preis würde selbst mit dem Mietshäusersyndikat eine so starke finanzielle Belastung bedeuten, dass es keinen Sinn machte das Haus dem Markt zu entziehen. Dem Vorschlag von Frau Giffey, sich bei 1,5 mio. Euro zu treffen, konnten die Eigentümer nichts abgewinnen. Seit diesem Tag laufen die Verhandlungen via Mail. Bei den Verhandlungen im Neuköllner Rathaus waren zunächst auch VertreterInnen des Vereins anwesend, der die Räumlichkeiten des Kiezladens anmietet, um ihrer Forderung nach der Rücknahme der Kündigung Ausdruck zu verleihen. Da dieser Forderung nicht nachgekommen wurde und Gespräche auf Augenhöhe zwischen Kiezladen und Eigentümern somit nicht möglich waren, zog sich das soziale Zentrum Mitte Mai offiziell aus den Verhandlungen zurück. Ein weiterer Grund war eine von den Eigentümern gewünschte öffentliche Distanzierung von „Zwischenfällen in Berlin und Wien“, welche dem Kollektiv des Kiezladens untragbar erschien.

Die Hausgemeinschaft befindet sich nach wie vor in Verhandlungen mit den Eigentümern. Ein Kauf durch das Mietshäusersyndikat würde für einige MieterInnen zwar eine Mieterhöhungen bedeuten, aber auch stabile Mieten und den Luxus keine nervige Hausverwaltung im Nacken zu haben. Das Haus wäre dem Immobilienmarkt entzogen und die Selbstverwaltung würde die Nutzung der Räume nach Interesse der MieterInnen und NutzerInnen nach sich ziehen. Skizziert sind unter anderem die Idee von Soli-Wohnungen für Geflüchtete, ein Gemeinschaftsgarten und der Ausbau des Dachgeschosses für weiteren Wohnraum. Der Verbleib des Kiezladens ist elementarer Bestandteil dieses Zukunftsgedanken.

Ob es dazu kommt, liegt letzten Endes an den Geschäftsführern der Wiener Immobiliengesellschaft und dem politischen Druck von der Straße, der auf diese wirkt. Dieser Druck ist – bei der Intensität der letzten sechs Monate und der Verhandlungssituation verständlich – bewusst etwas abgeschwächt worden. Den Eigentümern scheint diese kurze Pause schon ein Gefühl von Sicherheit gegeben zu haben, das sie dazu verleitet hat das Haus auf dem freien Markt für zwei Millionen anzubieten. Seit dem Bekanntwerden prangen Transparente mit großen Lettern am Gerüst: „Friedel54 bleibt Risikokapital!“. Und das stimmt – Nicht nur im Falle des Abbruchs der Verhandlungen. Die Widerständigkeit des ganzen Hauses, einschließlich aller Bewohner*innen dürfte kaum einen Investor anlocken. Ganz davon abgesehen, dass die Wiener Immobiliengruppe durch einen Verkauf an Dritte wohl kaum aus dem Fadenkreuz der Aktivist*innen fliehen könnte, sondern noch die letzte Chance vertut sich als „Investor der Herzen“ (Zit. n. Buy Buy St. Pauli) darzubieten.

Sollten die Verhandlungen jedoch zu einem bezahlbaren Kaufpreis führen, läge es an der Bereitschaft vieler Menschen Direktkredite zur Verfügung zu stellen. Denn die Aneignung dieses Hauses bewegt sich – wenn auch mit einer subversiven Note – noch im Rahmen der kapitalistischen Spielregeln und da ist “ohne Moos nix los”. Mit dem Syndikatsmodell hätte die Hausgemeinschaft den Vorteil, dass sie „1000 Freund*innen im Rücken, statt eine Bank im Nacken“ hätte und es gäbe de Facto keine Egeintümer*in, sondern nur noch Bewohner*innen und Nutzer*innen.

Der ‘Kiezladen Friedel54’ hat momentan jedoch weder einen Mietvertrag, noch die Sicherheit, dass die Verhandlungen positiv für die Hausgemeinschaft ausgehen. Jeden Moment rechnen die NutzerInnen mit einem Räumungsbescheid, weshalb die Kampagne „Friedel54 kämpft – Kiezladen bleibt!“ noch nicht beendet ist, sondern gerade erst in die heiße Phase kommt. Seit dem 1.6.2016 sind die Räumlichkeiten besetzt. Einer Aufforderung der Hausverwaltung nachzukommen die Räumlichkeiten zu übergeben, kommt für die Nutzer*innen nicht in Frage. Stattdessen werden weitere Aktionen geplant, sich vernetzt und das System der autoritären Stadt angegriffen.

Die Partizipation in der stadtpolitischen Bewegung ist notwendiger denn je. Wagenplatz Kanal, HG/M99, Rigaer94, Linie206, Potse/Drugstore, Wagenplatz Kanal und der Köpi Wagenplatz sind neben dem Kiezladen Friedel54 nur die alternativen Projekte, welche von Räumung bedroht sind. Koloniestraße, ‘Unser Block Bleibt!’ und ‘Kotti & Co’ (u.v.m.) zeigen, was für wiederständige Dynamiken entstehen können, wenn die Verwertungslogik, Stadt und Kapital Verdrängung von Menschen provozieren. Sowohl Hausgemeinschaft, als auch Kiezladen54 werden sich mit diesen Kämpfen solidarisieren und wo es nur geht unterstützen.

 

Zur Vorgeschichte

Wer schon einmal an der Ecke Weserstraße/Friedelstraße vorbeilief oder eine Veranstaltung im ‘Kiezladen Friedel54’ besucht hat, dem wird dieses Haus bekannt sein. Denn die vielen bunten Transparente am Gerüst des Hauses mit dem Container und einem Bauwagen davor prangen teilweise schon seit über einem Jahr am Gerüst. Den Transparenten ist zu entnehmen, dass sich hier Neuköllner MieterInnen gegen Verdrängung wehren. Doch wie tun sie das?

Im Frühjahr 2014 begannen die ersten Schikanen und eine nach dem anderen aus dem Haus wurde Mitglied in der ‘Berliner Mietergemeinschaft’ um dort Beratung und Rechtsschutz zu erfahren. Noch im Herbst selben Jahres teilten die Anwälte der Eigentümer des Hauses den BewohnerInnen schriftlich mit, dass in Kürze Bauarbeiten anstünden, welche den Bau eines Müllhäuschens im Innenhof, sowie eine Wärmedämmung an der Fassade umfassen würde. Die ’Modernisierungsmaßnahmen’ hätten drastische Mieterhöhungen für die MieterInnen nach sich gezogen und für deren Mehrheit die Suche nach einer günstigeren Bleibe bedeutet. Dass diese Suche in Nord-Neukölln zum Scheitern verurteilt ist, ist kein Geheimnis. In einem stinknormalen Mietshaus entstand notgedrungen eine solidarische und starke Hausgemeinschaft.

Die BewohnerInnen trafen sich und tauschten sich über die geplanten ‘Modernisierungen’ aus. Da viele der MieterInnen über ihre Mitgliedschaft in der ‘Berliner Mietergemeinschaft’ auf juristische Unterstützung setzen konnten, lehnten sie die Baumaßnahmen ab. Das Anwaltsbüro der Wiener Eigentümer verklagte sie nun auf Duldung und das Baugerüst wurde vorsorglich schon einmal aufgestellt. Es entstand die Kampagne „Abgelehnt – Friedel streikt!“. Diese sollte dazu dienen, auf das Problem der Verdrängung in ganz Berlin – im Speziellen in Nord-Neukölln – durch fragwürdige Sanierungsmaßnahmen in die Öffentlichkeit zu tragen. Der Kiezladen im Erdgeschoss war nur stiller Teilhaber des Protestes, denn der Mietvertrag des Vereins war – wie in Gewerbemietverträgen üblich – ohne Nennung von Gründen kündbar. Dennoch wurde vor allem infrastrukturell den organisierten MieterInnen aus den oberen Stockwerken und dem Hinterhaus unter die Arme gegriffen. Beispielsweise bei einer Demonstration im März 2015, an der ca. 500 Menschen teilnahmen.

Während peux á peux die Duldungsklagen vor Gericht zu Gunsten der Eigentümer ausgingen, kündigten diese im Oktober 2015 dem Kiezladen und sozialen Zentrum im Erdgeschoss den Mietvertrag. Sechs Monate blieben nun, um eine Ausweichmöglichkeit für den soziokulturellen Treffpunkt zu finden oder sich zu entschließen zu kämpfen und zu bleiben. Die Kampagne „Friedel54 kämpft – Kiezladen bleibt!“ startete. Überall in der Stadt wurden Flyer verteilt und Plakate verklebt. Offene Treffen für alle, die den Kampf unterstützen wollten, wurden einberufen; eine Vielzahl an Veranstaltungen geplant und durchgeführt. Sogar eine Busfahrt nach und eine Demonstration in Wien wurden verwirklicht. Hinzu kamen zahlreiche spontane Aktionen und Solidaritätsbekundungen aus Eigeninitiative von SympathisantInnen. Es entwickelte sich eine Dynamik, welche 1000 Menschen in Neukölln auf die Straße brachte und den Bekanntheitsgrad des Hauses in der Friedelstraße 54 stetig steigen ließ.

Und der ganze Aufriss nur für einen kleinen Kiezladen, den vorher kaum einer kannte? Ja und Nein!
Ohne die Kündigung und den Widerstand des Kollektivs im Erdgeschoss wäre der Protest niemals so groß geworden. Doch ab Februar 2016 waren die Forderungen klar formuliert. Sowohl Eigentümer, UnterstützerInnen und spätestens nach der Bezirksverordnetenversammlung im März 2016 auch die Bezirkspolitik wussten, dass folgende Ziele der Kampagne zu Grunde lagen.

Mittelfristig: Die Rücknahme der Kündigung des im EG befindlichen sozialen Zentrums „Kiezladen Friedel54“. Die Rücknahme der Duldungsklagen gegen die MieterInnen.

Langfristig: Aufnahme von Verhandlungen über den Verkauf des Hauses von den jetzigen Eigentümern an das ‘Mietshäusersyndikat’ und die ‘Hausgemeinschaft Friedelstraße 54’ zu einem Preis, der in der Folge sozialverträgliche Mieten garantiert.

Dem Protest ging es also nicht allein um die paar Quadratmeter im Erdgeschoss für ein linkspolitisches Projekt, sondern von Anbeginn um eine Lösung für alle MieterInnen und NutzerInnen des Hauses, die dieses in der Folge selbstverwalten könnten. Was sich aber in der Dynamik als mindestens genauso wichtig erwiesen hat, ist die Partizipation an einer stadtpolitischen Bewegung. Um nur einige Sachen zu nennen: Sowohl bei der ‘Stadtpolitischen Aktiven Konferenz’ , als auch bei der ‘Social Center 4 All – Konferenz’ waren VertreterInnen des Hauses und des Kollektivs aktive TeilnehmerInnen. Es wurde sich über die Berliner Grenzen hinweg mit Projekten in Wien und Prag vernetzt, die in ähnlichen Situationen stecken. Die vom Kiezladen initiierte ‘Kiezversammlung 44’ findet immernoch jeden Monat statt und die vielen persönlichen Gespräche, Erfahrungstransfers und Hilfestellungen können die Kollektivmitglieder und BewohnerInnen des Hauses kaum noch zählen. Einer der wichtigsten und folgenreichsten Schritte ist die Initiation des ‘Citec Networks’, in dem sich BewohnerInnen von anderen Häusern der Wiener Immobiliengesellschaft assoziieren und trotz der momentanen Zurückhaltung der ‘Hausgemeinschaft Friedelstraße 54’ regelmäßig trifft und gegen Verdrängung mobil macht. Das Alles hat die Hausgemeinschaft also jetzt dahin gebracht wo sie steht und doch sind weder Mietwohnungen noch Kiezladen54 „gerettet“. Wie es sich entwickelt, wird der Druck auf der Straße, die Solidarität, Kreativität und Kraft aller Akteur*innen im Kampf gegen Verdrängung zeigen.

 

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