Mit diesem Text wollen wir euch mitteilen, dass wir uns bereits im Herbst 2021 als Gruppe Friedel 54 im Exil aufgelöst haben.
Es zeichnete sich schon seit längerer Zeit ab, dass eine Auflösung unausweichlich wurde. Da wir dies nicht wahrhaben wollten, rafften wir uns immer wieder zusammen und hielten an der Gruppe fest. Wir lösten uns alle an unterschiedlichen Punkten emotional von der Gruppe. Dies war einerseits individuellen Schutzmechanismen geschuldet. Andererseits führte das dazu, dass wir uns nach und nach weniger involviert fühlten.
Wir wollen euch hiermit kurz einige Gründe schildern und Reflektionspunkte aus unserer Perspektive als FLINTA* Personen, die Teil der Gruppe waren, teilen.
Ein Täter, der über eine lange Zeit hinweg Gewalt ausübte, war Teil unserer Gruppe.
Leider führten uns erst die Briefe mit Kritik und konkreten Forderungen an uns und das Outing selbst, die längst überfällige Notwendigkeit konkret vor Augen, uns mit patriarchalen Strukturen innerhalb unserer Gruppe und in uns selbst auseinandersetzen zu müssen. Einige Wochen danach trafen sich einige von uns zum ersten Mal als FLINTA*S unserer Gruppe, was von FLINTA*S einer anderen Gruppe angestoßen wurde (danke dafür). Aus diesem Treffen entwickelten wir eine gewisse Kraft halbwegs frei von Ängsten zu sagen, dass wir verdammt/extrem wütend sind. Diese Disharmonie, die wir unsere Genossen spüren ließen und die zeigte, dass nicht alles ‚okay‘ ist, machte uns handlungsfähig. Wir waren in der Lage, Druck gegenüber unseren Genossen aufzubauen. Das führte dazu, dass sie endlich anerkannten und annahmen, dass diese Reflexion und antipatriarchale Auseinandersetzung zwingend notwendig sind. Der Wille dazu schien zwischendurch groß, es fehlte jedoch an Eigeninitiative unserer Genossen. Teilweise fühlten sie sich ohne direkte Handlungsanweisungen von unserer Seite unfähig zu agieren. Ansätze und Methoden, wie wir als Gruppe dabei vorankommen, kamen fast ausschließlich von uns. Wir denken, oder wissen teilweise, dass all das durchaus eine Reflexion und Auseinandersetzung angestoßen hat. Jedoch wurden uns weder diese Tatsache an sich, noch die Ergebnisse transparent gemacht, was unserer Ansicht nach essentiell für diesen Prozess gewesen wäre und was wir auch als fehlendes Vertrauen uns gegenüber lesen.
Wir steckten also fest und die Auseinandersetzung ging nicht an die Substanz. Außerdem nahmen wir uns nicht den Raum für unsere eigene antipatriarchale Auseinandersetzung unter FLINTA*S, weil wir ein hohes Verantwortungsgefühl spürten, den Gruppenprozess anzustoßen und zu gestalten, aber ab einem gewissen Punkt selbst resignierten.
Der gescheiterte Prozess einer gemeinsamen antipatriarchalen Auseinandersetzung trägt viel zu unserer Auflösung bei. Dieser Prozess gestaltete sich auch deshalb schwierig, weil es nicht allen Personen möglich war, kontinuierlich zum Plenum zu kommen. Dabei spielten unter anderem auch vorbelastete persönliche Beziehungen innerhalb der Gruppe eine Rolle.
Darüber hinaus trugen unsere unterschiedlichen Perspektiven, was wir politisch als sinnvoll erachten, auch stellenweise dazu bei. Diese spiegelten sich auch im Aufbauprozess des Kiezladens in der Sonnenallee 154 wider. Es wurden Kritiken an uns herangetragen, mit denen wir uns bis heute als Gruppe nicht auseinandergesetzt haben.
Wir waren all die Jahre sehr fokusiert auf unsere politische Arbeit und stellten dies fast kompromisslos immer wieder über Persönliches und Zwischenmenschliches. Zwar sind auch viele gute Sachen daraus entstanden und das hat uns häufig Antrieb gegeben. Aber meist auf Kosten Einzelner.
Dennoch wollen wir diese Zeit vor allem als einen (auf keinen Fall abgeschlossenen) Lernprozess betrachten, aus dem wir rückblickend Folgendes mitgenommen haben, was teilweise in politischen Zusammenhängen ohnehin Praxis ist:
- Regelmäßige gendergetrennte Plena,
- Vertrauen unter FLINTA*S aufbauen und daraus eine Stärke entwickeln, aber auch, auf sich selbst vertrauen und aussprechen oder widersprechen, wenn ein ungutes Gefühl aufkommt, ohne Angst vor einer potenziellen Reaktion von Genossen zu haben,
- ‚Privates ist politisch‘ ernst nehmen und das Umfeld von uns allen mitdenken. Privates kann und soll nicht abgeschirmt werden.
- Feedback-Runden oder Kritik-Selbstkritikrunden etablieren: Raum für Vertrauensrunden schaffen, in denen Ängste offen ausgesprochen werden können, sowie Ängste konkretisiert werden können. Oder zumindest darauf achten, dass alle Personen innerhalb der Gruppe mindestens eine Person wissen, der sie voll und ganz vertrauen und die voneinander wissen, wie es ihnen geht.
Wir (FLINTA*S) haben im letzten Jahr viel Unterstützung von Freund*innen und Genoss*innen aus unseren jeweiligen Umfeldern erfahren, was wir sehr zu schätzen wissen. Das hat uns gezeigt, wie wertvoll es sein kann, eine Perspektive von außen gespiegelt zu bekommen. An diesem Punkt müssen wir uns ebenso eingestehen, dass wir Unterstützung von außen viel zu spät in Anspruch genommen haben.
Wir sind uns bewusst, dass unsere Gruppe mit ihren hierarchischen und patriarchalen Machtstrukturen keine Ausnahme war. Wir denken, dass jede*r von uns persönlich/individuell daran gewachsen ist, jedoch kaum gemeinsam als Gruppe.
Mit dem Auflösungsprozess sind Forderungen entstanden, die wir als einige FLINTA*s an unsere Genossen gestellt haben und die wir euch auf Anfrage gerne zuschicken.
Und auch sonst könnt ihr uns gerne kontaktieren, wenn ihr noch was wissen wollt und/oder in den Austausch gehen und/oder auch Kritik äußern wollt: f_f@systemli.org kontaktieren, PGP Key auf Anfrage.