Beitrag der Friedel54 zur offenen Diskussion mit „Rigaer United“ (Rigaer Straßenplenum) mit dem Titel:
Revolutionäre Perspektive Kiezkampf: unsere Projekte im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Isolation (https://linksunten.indymedia.org/de/node/204085)
Dieser Beitrag diente als Vorstellung/Einleitung einer sehr interessanten und offenen Diskussion, bei der bei weitem nicht nur „F54“ und „R94“ gesprochen haben. Deshalb spiegelt er in keinster Weise die Diskussion wieder. Dennoch wurden wir von unterschiedlichen Diskussionsteilnehmenden angesprochen, ob wir den Text veröffentlichen wollen. Dem kommen wir hiermit nach. Eine nächste Veranstaltung wird bereits geplant. Wenn ihr eure Meinung zu diesem Beitrag auch nachträglich noch äußern wollt, könnt ihr das spätestens dann tun. Ankündigung folgt.
Kiezarbeit
Die Friedel54 ist ein Kiezladen. Der Name sagt schon, dass es sich um einen Ort handelt, der sich besonders mit den Fragen beschäftigt, die im Viertel entstehen. Die Fragen sind vielfältig aber eigentlich schon die typischen „linken“ Fragen: „Wieso werden Menschen in den Flughafen Tempelhof gepfercht? Was machen wir gegen den nächsten Neonazi-Aufmarsch? Wo kommt die Kleidung vom KiK um die Ecke her? Nicht vergessen: Warum finde ich keine bezahlbare Wohnung in Nord-Neukölln?“ Die Fragen entstehen aus den Erlebnissen im „Kiez“ und deshalb braucht es Orte an dem diese Fragen diskutiert werden. Je mehr man jedoch nach der Antwort sucht, desto weiter führt es aus dem Kiez. Ob das jetzt Wien, Texas, die Cayman-Islands oder Exarchia ist. Bei der KiK-Frage dann eher Bangladesh.
Das „Kiez“ im Kiezladen beschreibt lediglich, dass ortsgebundene Fragen hineingestopft werden. Im Laden wird sich dann damit auseinandergesetzt, wobei auch hier kaum von einem Exklusivitätsanspruch die Rede sein kann. Menschen von überall können hier alles mögliche diskutieren. Was bei den Diskussionen, vermittelt durch die Menschen, die sie führen herauskommt, ploppt im besten Falle über den Kiez hinaus. Sowohl praktisch als auch theoretisch.
Isolation
Ein Problem der bürgerlichen Gesellschaft ist ihre „irrationale Rationalität“. Soll heißen: den Kapitalismus mit allen gemeinsam und solidarisch abzuschaffen wäre wirklich rational, weil unter‘m Strich für alle (okay, vielleicht nicht jeden Multi-Miliardär) am Ende mehr rauskäme. Mehr Freizeit, mehr Luxus, mehr Zärtlichkeit under den Menschen.
Da das aber kaum denkbar erscheint, ist es in diesen Verhältnissen ratsamer sich um seinen eigenen Kram zu kümmern, selbst, wenn man eigentlich auch mit der „Gesamtsituation“ unzufrieden ist. Denn sich mit Themen, wie: Neonazianschläge, institutionellen Rassismus, Ausbeutung im Allgemeinen und Speziellen auseinanderzusetzen, belastet. Seien wir ehrlich: Uns auch.
Das führt dazu, dass ein Projektraum oder ein soziales Zentrum in einer der bürgerlichsten Gesellschaften Europas ganz schnell zum Szeneladen wird, weil sich keiner außer Anarchist*innen und Kommunist*innen für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem herrschenden System in Bezug auf allgegenwärtige Probleme auseinandersetzt.
Nun die Spiegelversion: Die eben beschriebene Selbstbezogenheit, die diese Gesellschaft prägt, macht auch nicht vor „uns“ halt. Es ist eben einfacher sich mit bekannten Gesichtern oder denen, die bei Stressfaktor nach Veranstaltungen suchen sich mit Themen auseinanderzusetzen als Sachen wie „Sexismus“, „Rassismus“ usw. ständig neu erklären zu müssen. Im Mietenpolitischen Kontext wäre eine gebetsmühlenartige Wiederholung: „Ja, die Miete ist zu hoch und ja, die Politiker sollen was machen, damit die Miete zumindest nicht weitersteigt. Geringe Miete ist schon super aber wie wär‘s mit garkeiner. Und überhaupt, warum willst du abhängig von der Politik und dem Eigentümer sein? Lass uns doch gemeinsam das Eigentum negieren…usw.usf.“ Sptätestens nach der 10 Diskussion ist man es Leid und froh wieder mit der Peergroup über die Notwendigkeit von Hausbesetzungen zu reden.
Man könnte sagen, dass die Isolation aus der Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit entsteht, es besser zu wissen, es aber nicht mit denen, die es nicht zu checken scheinen, besser machen zu wollen.
Verständlich ist es alle mal. Irgendwann will auch die Vollzeitaktivistin mal Ruhe haben oder die Teilzeitaktivistin muss wieder arbeiten.
Anarchie ist machbar Herr* und Frau* Nachbar! Oder „Rebellische Nachbarn und solidarische Kieze!“
Sowohl von Rigaer United, als auch vom Kiezladen aus wurden Kiezversammlungen initiiert. Die Möglichkeit sich ohne Parteien und Institutionen offen und politisch zu arbeiten besteht hier allemal. Zu unbekannt bleiben sie und zu statisch auch. Menschen, die sich nicht kennen und die sehr unterschiedliche Probleme und erst recht unterschiedliche Ansichten zu diesen Problemen haben, treffen hier aufeinander. Das ist mühsam für alle und oft nur Blabla. Das was dann die politische Arbeit betrifft, wird leider nur von wenigen gemacht und die sind dann ganz schnell genervt, machen Fehler oder suchen sich den Weg mit dem geringsten Widerstand – die Kooperation mit den Etablierten (Parteien, Vereine, usw.). Bis jetzt scheint alles aus diesen Kiezversammlungen (korrigiert uns, wenn wir falsch liegen) aus einer Defensivhaltung. Will heißen: man ist zwar solidarisch und versucht alles auf dem legalen Wege oder auf dem Wege der gegenseitigen direkten Hilfe, bleibt aber ab einem bestimmten Punkt sehr ohnmächtig, fast apathisch. Ein Appell könnte sein, dass jede Kiezversammlung prinzipiell aus einem Diskussionsteil und einem praktischen Teil besteht. Zeit für das Motto: „Claim the streets!“ Sich Orte auf verschiedene Weisen anzueigenen ist auch mit wenig Repressionsrisiko möglich. Beispiele sind hier: Ferienwohnungsbesetzungen, Go-Ins, Streetart, Platzbesetzungen usw. Der Nebeneffekt, es macht die Kiezversammlungen bekannter und führt auch die weniger Radikalen an praktische Kritik heran.
Save the last Dance?
Um die Frage, wie wir uns in einer solidarischen Nachbarschaft einbringen können zu beantworten, bleibt dem Kiezladen nicht viel Zeit. Wir wollen versuchen durch regelmäßige Kundgebungen vor unserer Tür Nachbar*innen zu vernetzen, zu informieren und schon präventiv eine Kritik an Polizeigewalt zu üben. Denn in 1 ½ Monaten kann es schon soweit sein, dass wir aus dem Laden geprügelt werden und jene die etwas dagegen haben durch die Straßen gejagt werden…
…und hoffentlich an der ein oder anderen Stelle auch zurückjagen.
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Kiezladen Friedel54
Soziales Zentrum in Nord-Neukölln
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